Bewertung von Tunnelrechten
Brüttener Tunnel, Ausbau Bahnhof Stadelhofen, Durchgangsbahnhof Luzern, 2. Zimmerbergtunnel. Dies sind die geplanten oder projektierten Tunnels der SBB. Damit die SBB die Tunnels realisieren können, müssen sie mit jedem Eigentümer ein «Tunnelrecht» vereinbaren. Dabei geht es um die Frage, ob das Grundstück durch die Untertunnelung einen Minderwert erfährt oder nicht. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wie die aktuelle Schweizer Rechtsprechung aussieht, aber vor allem, wie solche Tunnelrechte bewertet werden können.
Obwohl schon viele Tunnels gebaut wurden, gibt es keine einheitliche Praxis zur Ermittlung der Entschädigungen von Tunnelrechten. Bisher haben die SBB die Entschädigungen individuell und ohne eine einheitliche Praxis mit den jeweiligen Eigentümern ausgehandelt. In Einzelfällen kam es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung. In einem Fall musste das Bundesgericht über die Entschädigung entscheiden.
Im Zusammenhang mit dem geplanten Ausbau des Bahnhofs Stadelhofen mit einem 4. Gleis hatte ich den Auftrag, eine einheitliche Festlegung der Entschädigung für die Tunnelrechte vorzuschlagen. Weil die Schweizer Praxis und Rechtsprechung nur wenige Anhaltspunkte geben, habe ich recherchiert und gesehen, dass unsere Nachbarländer mehr Erfahrungen darin haben. Wohl wegen den vielen U-Bahnen in diesen beiden Ländern, konnte ich mehrere «Verfahren» zur Bemessung der Minderwerte bzw. der Entschädigungen finden. Diese sind in einem Punkt mit der Schweizer Praxis vergleichbar, gehen in zwei Punkten jedoch deutlich weiter. Nachfolgend zeige ich meine Erkenntnisse auf und vergleiche diese mit der bekannten Schweizer Literatur im Bewertungswesen, der Schweizer Rechtsprechung und vergleiche diese mit der von mir ausgewählten «Wiener Methode» zur Bemessung der Minderwerte.
Schweizer Schätzerliteratur im Bewertungswesen
In zwei bekannten Schweizer Schätzerliteraturen («Das Schweizerische Schätzerhandbuch» SVKG, 2019, Seite 238 und «Die Immobilienbewertung», Francesco Canonica, 2009, S. 337ff) wird die Bewertung von Minderwerten behandelt. Es finden sich jedoch nur Beispiele für den Wegfall der Aussicht, für Lärmimmissionen, für Näherbaurechte, für bauliche Einschränkungen im Obergrund und für Nutzungsübertragungen etc., nicht jedoch für bauliche Einschränkungen im Untergrund. Generell gilt die Praxis, wonach sich der Minderwert aus der Differenz zwischen dem «unbelasteten» und dem «belasteten» Zustand ergibt. Dies soll an einem fiktiven Beispiel aufgezeigt werden:
Das Beispiel zeigt, dass sich ein Minderwert, mit wenigen Ausnahmen (Schäden am Gebäude wegen äusseren Einwirkungen, z.B. Staub, Lärm, Erschütterungen), immer im Landwert auswirkt. Diese Erkenntnis lässt sich mit den nachfolgenden Beispielen und Feststellungen erklären:
Herausforderungen Bemessung Entschädigung von Minderwerten
Bei der Bemessung einer Entschädigung gibt es meist «messbare» Gegebenheiten (z.B. Lärm, Distanz der Unterfahrung, etc.). Obwohl der Umfang einer Beeinträchtigung messbar ist, kann der Werteinfluss nur «subjektiv» geschätzt werden, weil es dafür keine messbaren Kriterien gibt. Nur im Bereich Lärmimmissionen und Aussicht gibt es Studien über den Werteinfluss. Nicht jedoch im Zusammenhang mit Tunnelrechten.
Schweizer Rechtsprechung
Im Zusammenhang mit dem Bau des Zürichbergtunnels von Zürich-Stadelhofen nach Stettbach gibt es den Bundesgerichtsentscheid BGE 122 II 246 vom 17.6.1996_First Church Zürichbergtunnel, welcher interessante Hinweise auf eine mögliche Entschädigung gibt und aufzeigt, wie die Schweizer Rechtsprechung für Tunnelrechte aussieht. Diese Rechtsprechung unterscheidet sich deutlich von der später aufgezeigten Praxis in Deutschland und Österreich.
Die Eigentümer des betroffenen Grundstücks forderten einen Minderwert von CHF 2'611'000, weil das Grundstück, welches in der viergeschossigen Wohnzone W4 lag, wegen dem Eisenbahntunnel nicht mehr weiter ausgenutzt werden durfte. Das Bundesgericht hiess die Klage teilweise gut, reduzierte die Entschädigung jedoch auf CHF 2'400'000. Die Ausführungen in diesem Entscheid ergeben wichtige Erkenntnisse auf die Bemessung der Minderwerte, welche nachfolgend stichwortartig zusammengefasst werden:
Praxis Deutschland und Österreich
In den Nachbarländern Deutschland und Österreich wurde die Frage zur Bemessung der Minderwerte für Tunnelrechte wegen den zahlreichen U-Bahnbauten vertiefter geführt. Im Gegensatz zur Schweiz, gibt es mehrere «Verfahren», welche Richtwerte für Entschädigungen aufzeigen. Im Artikel «Ein Streifzug zu den Verfahren bei Enteignungsentschädigungen von Tunnelservituten» (Immo aktuell 4/2023, Linde Verlag, Wien, Dr. Kurt Denk) werden zahlreiche «Verfahren» und auch Entschädigungsrichtwerte aufgeführt. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass zwischen
a) dem aus der Einräumung der Servitute resultierenden Vermögensnachteil durch Nutzungseinschränkungen der Liegenschaft und
b) der Wertminderung auf Grund der Abneigung gegenüber der Liegenschaft, verbunden mit dem Unbehagen gegenüber einem Servitut (so genannter «merkantiler Minderwert»)
unterschieden wird, und dass diese beiden Vermögensnachteile gesondert betrachtet werden. Diese generelle Feststellung unterscheidet sich somit von der bekannten Praxis und Rechtsprechung in der Schweiz wesentlich. Hinzu kommen, wie in der Schweiz, mögliche Entschädigungen für effektive bauliche Einschränkungen (z.B. keine weitere bauliche Ausnützung mehr erlaubt).
a) Vermögensnachteil durch Nutzungseinschränkung
Im erwähnten Artikel von Dr. Kurt Denk werden sieben «Verfahren» aufgeführt, wobei das 7. Verfahren eine Weiterentwicklung des 6. Verfahrens ist und nachfolgend im Verfahren VI beschrieben wird:
b) Merkantiler Minderwert
Der merkantile Minderwert stellt die Abneigung der Marktteilnehmer gegenüber der belasteten Liegenschaft dar und ist gesondert bzw. zusätzlich zum Vermögensnachteil durch die Nutzungseinschränkung nach a) zu entschädigen. Auf der Basis einer umfassenden Befragung von Markteilnehmern wurden die merkantilen Minderwerte in Abhängigkeit der betroffenen Grundstücks- bzw. Gebäudegrundfläche sowie der Tunneltiefe wie folgt ermittelt:
Quelle: «Merkantiler Minderwert von Liegenschaften», Punkt 3.4.1 Spezialfall Untertunnelung. Die Wertveränderungen der Kategorie II wurden im eigenen Ermessen zwischen den Werten der Kategorie I und III eingeschätzt, weil im erwähnten Artikel die Minderwerte der Kategorie II gleich wie jene in der Kategorie V eingeschätzt wurden und dies als nicht nachvollziehbar erachtet wurde.
In einem Leitentscheid zum «Merkantilen Minderwert bei Immobilien» (Urteil 4A_394/2018 vom 20.5.2019) behandelt das Bundesgericht diese Frage der Anerkennung eines merkantilen Minderwerts bei Immobilien als ersatzfähigen Schaden, wozu es sich nach eigener Auskunft vor diesem neuen Urteil noch nie konkret geäussert hatte. Als Ergebnis kommt das Bundesgericht zum Schluss, ein merkantiler Minderwert könne grundsätzlich bei allen Sachen eintreten, bei denen der Markt infolge eines schädigenden Ereignisses mit einem weder technisch noch funktionell begründeten Preisabschlag reagiert. Unter welchen Voraussetzungen ein solcher merkantiler Minderwert ersatzfähig ist, könne aber nicht allgemein festgehalten werden, sondern erfordere eine differenzierte Betrachtung je nach Art der betroffenen Sache. Bezüglich Immobilien kommt das Bundesgericht im Ergebnis zum Schluss, dass bei diesen sehr langlebigen Sachen ein merkantiler Minderwert nur dann verlangt werden könne, wenn der Geschädigte dem Gericht einen konkreten bzw. definitiv in seinem Vermögen eingetretenen Schaden aus merkantilem Minderwert nachweisen kann, der sich etwa bei einem Verkauf materialisiert hat. Die entscheidende Erwägung des Bundesgerichts wird hiernach im Wortlaut zitiert: “Ein allfälliger merkantiler Minderwert vermindert sich bei Immobilien nicht parallel zum Minderwert, den die Sache ohnehin durch Zeitablauf erfährt. Wie dargelegt hängt der Umstand, dass ein allfälliger Schaden aus merkantilem Minderwert bei Immobilien mit der Zeit abnimmt, vielmehr mit dessen Natur zusammen. Nach allgemeiner Verkehrsauffassung wird eine Immobilie infolge eines schadenstiftenden Ereignisses nicht langfristig als minderwertig angesehen. Es besteht aus Sicht des Eigentümers kein bleibender, sondern allenfalls ein bloss vorübergehender Schaden, der nach höchstens 15 Jahren bei der Immobilienbewertung bedeutungslos wird. Im Vergleich zu Motorfahrzeugen sind Immobilien langlebige Wirtschaftsgüter, die nur mit einem hohen Aufwand verkauft werden können. Für den Erwerb einer Immobilie und deren Bewertung durch den Markt sind zudem eine Vielzahl von Faktoren – wie z.B. Lage und Ausbaustandard – von Bedeutung. Weiter sind Immobilien besonders wertvolle Güter, die für den Eigentümer und dessen Angehörigen bzw. – bei Geschäftsimmobilien – für das Geschäft eine besondere Bedeutung haben. Deshalb dürfte ein allfälliger merkantiler Minderwert bei der Entscheidung, über eine Immobilie zu verfügen, gewöhnlich nur eine untergeordnete Rolle spielen. […] Der vorübergehenden Natur eines Schadens aus merkantilem Minderwert wird bei Immobilien am besten dadurch Rechnung getragen, dass der Ersatz eines solchen Schadens auf den Fall zu beschränken ist, dass eine konkrete Vermögensverminderung nachgewiesen wird. […] Ein konkreter – im Reinvermögen des Geschädigten bleibender – Schaden kann in erster Linie dadurch entstehen, dass die Immobilie verkauft wird: Weist der Geschädigte nach, dass er wegen einer durch ein schädigendes Ereignis verursachten Minderung des Verkehrswertes der Immobilie bei deren Verkauf einen geringeren Erlös erzielt hat, schuldet ihm der Schädiger den Ersatz dieses Schadens, auch wenn diese Minderung unabhängig von der technischen bzw. funktionellen Beeinträchtigung der Sache eintritt. Neben dem Verkauf der Sache kann aber ein konkreter bleibender Schaden auch bei anderen Gelegenheiten vorkommen, bei denen es auf eine Bewertung der Immobilie ankommt, wie etwa bei einer Enteignung oder Zwangsverwertung. Folglich ist für den Ersatz eines merkantilen Minderwertes bei Immobilien nur eine konkrete Schadensberechnung zulässig.
Es ist daher offen, ob ein Gericht dieser zusätzlichen Forderung nach einem merkantilen Minderwert, so wie in Deutschland und Österreich üblich, eingehen würde.
c) Weitere Entschädigungen
Nebst der Entschädigung für die Tunneldienstbarkeiten nach a) und dem merkantilen Minderwert nach b) sind Entschädigungen für Einschränkungen oder höhere Kosten im Unterhalt, für mediale negative Berichterstattungen und für die Einschränkungen der baulichen Nutzung der Oberfläche zu leisten. Diese Entschädigungen sind auch in der Schweiz bekannt und widerspiegeln die gängige Praxis, welche am Beispiel des Bundesgerichtsentscheides aufgezeigt wurde. Die Berechnung dieses Entschädigungsanteils gestaltet sich am einfachsten, weil «messbar» ist, welche weitere Ausnützung (z.B. weiteres Geschoss oder Anbau) nicht mehr möglich sein wird.
Zusammenfassung und Erkenntnisse
Der Vergleich der Schweizer Praxis mit dem Ausland zeigt wesentliche Unterschiede. Gleich ist, dass der Minderwert von Dienstbarkeiten in den drei Ländern sich auf den effektiven baulichen Einschränkungen nach c) bemessen. In der Schweiz konzentriert sich der Minderwert noch auf dieses Kriterium. Wie unter Punkt 2.2 aufgezeigt, setzt sich der Minderwert nach dem «Wiener Verfahren» aus insgesamt drei Teilentschädigungen zusammen:
Der Minderwert wegen der Nutzungseinschränkung nach a) hat einen direkten Zusammenhang mit den baulichen Einschränkungen im Untergrund, ungeachtet, ob diese Einschränkungen für den betroffenen Eigentümer tatsächlich einen Nachteil darstellen oder erst in unbekannter Zukunft (z.B. Abbruch und Neubau) eine Beeinträchtigung sein könnten. Der Minderwert bemisst sich an der betroffenen Fläche der Schutzzone (Fläche über oder um den Tunnel, welche baulich als «Bauverbotsfläche» gilt) im Verhältnis der Grundstücksfläche und der Tiefe der Oberkannte der Schutzzone. Damit werden alle baulichen Einschränkungen oder Nachteile vergütet.
Hinzu kommt der merkantile Minderwert nach b), welcher ähnlich bemessen wird, aber eine generellere Entschädigung darstellt, welche die erschwerte Verkäuflichkeit abgelten soll. Der merkantile Minderwert bemisst den wertmässigen Nachteil, weil das Tunnelrecht besteht und damit Unsicherheiten verbunden werden, welche sich in einem tieferen Wertempfinden äussern.
Vorschlag zur Bemessung des Minderwertes für ein Tunnelrecht
Die aktuelle Bewertungspraxis in der Schweiz konzentriert sich bei den Entschädigungen auf die effektiven Minderwerte als Folge von baulichen Einschränkungen nach c). Weitere Entschädigungen für generelle Nachteile als Folge des Tunnelrechtes, wie sie in Österreich und Deutschland zur Anwendung kommen, finden sich in der Rechtsprechung nicht. Der Leitentscheid des Bundesgerichtes zum “merkantilen Minderwert bei Immobilien» (Urteil 4A_394/2018 vom 20.5.2019) kann jedoch so interpretiert werden, dass es in Zukunft durchaus möglich ist, dass das Bundesgericht einen «merkantilen Minderwert» anerkennen könnte.
In Abweichung zur aktuellen Rechtsprechung, aber in Anlehnung an die Praxis in Deutschland und Österreich, wurde eine Berechnung des Minderwertes in Anlehnung an das «Wiener Verfahren» mit drei möglichen Teilentschädigungen vorgeschlagen. Die Berechnung soll es dabei ermöglichen, die Minderwerte mit den vorhandenen Informationen aus den öffentlich zugänglichen Daten und den Projektinformationen berechnen zu können.
a) Generelle Entschädigung des Tunnelrechtes
Die generelle Entschädigung misst sich an der Tiefe und am Flächenanteil der Schutzzone im Verhältnis der Grundstücksfläche. Die Angaben in der Studie zum «Wiener Verfahren» sind, wie oben erwähnt, in Bezug auf die Entschädigungen nur summarisch dargestellt, indem die Schutzfläche in Abhängigkeit der Tiefenlage in der Höhe von 5 bis 10% und mit einem Zuschlag von 3% pro Meter bis 15 Meter entschädigt wird. Weitere Details sind nicht bekannt. Es wurde eine klarere und detailliertere Entschädigung bis zu einer Tunneltiefe von 20 Meter vorgeschlagen, wobei die Entschädigung mit einer Schutzzonentiefe bis 1 Meter bei 20% am höchsten ausfällt und sich mit jedem Meter um 1% reduziert. Ab 21 Meter gibt es keine Entschädigung mehr. Die prozentuale Entschädigung bemisst sich im Verhältnis der Schutzzonenfläche zur Grundstücksfläche.
Die Berechnung soll an einem fiktiven Beispiel aufgezeigt werden:
Die Schutzzonenfläche erstreckt sich über 5% der Grundstücksfläche und 40% der Gebäudegrundfläche. Die Schutzzonenfläche macht somit 15% der Grundstücksfläche aus. Die Entschädigung beträgt auf Grund der Schutzzonentiefe (OK Schutzzone bis UK Untergeschoss) von 10 Metern 11% der betroffenen Fläche: 1'000 m² Grundstücksfläche x 15% = 150 m² betroffene Tunnelfläche x 9’871/m² = 1'480'650 x 11% Minderwert = 163'000 Entschädigung.
Die grosse Herausforderung ist die Bestimmung des massgebenden Landwertes. Wie oben erwähnt, war es Teil des Auftrages, die Minderwerte einfach und ohne, Besichtigung oder fremde Hilfe eines Experten einschätzen zu können. Daher wurde vorgeschlagen, den Landwert auf der Basis der bekannten Steuerlandwerte zu berechnen, weil diese Werte öffentlich zugänglich sind. Ausgehend von der generellen Annahme, dass die Steuerwerte 70% des Marktlandwertes ausmachen, wurden die Steuerwerte mit dem Faktor von 1.4 multipliziert, um so die Marktlandwerte zu erhalten.
Inzwischen wurde der Eigenmietwert abgeschafft und es muss damit gerechnet werden, dass die Steuerlandwerte in Zukunft nicht mehr publiziert werden. Der massgebende Landwert muss daher anders bestimmt werden. Entweder muss der Landwert individuell und in Abhängigkeit der effektiven Bebauung mit der Lageklassenmethode oder von statistischen Landwerten (z.B. von Wüest Partner oder Fahrländer Partner) abgeleitet werden.
b) Merkantiler Minderwert
Beim merkantilen Minderwert handelt es sich um eine Entschädigung als Folge der Dienstbarkeit, und damit verbunden, der eingeschränkten Handelbarkeit der Immobilie. Die Entschädigung bemisst sich an der Tunnelfläche im Verhältnis der Grundstücks- bzw. Gebäudegrundfläche und Tiefe der Untertunnelung. Die Höhe der Entschädigung ergibt sich aus den Studien und Erfahrungswerten in diesem Verfahren, wobei die Einschätzungen in Bezug auf die betroffenen Flächen und Tunneltiefen in einem grösseren Rahmen als im Vergleich zum generellen Minderwert nach Punkt a) bemessen werden:
In unserem Musterbeispiel werden die Gebäudegrundfläche und die Grundstücksfläche jeweils weniger als 50% untertunnelt, was der Kategorie II entspricht und bei einer Tunneltiefe von 15 Metern einen Minderwert von 0.6% ergibt. Hinzu kommt ein Zuschlag von 0.6%, weil es sich um ein Wohnhaus handelt. Der Minderwert rechnet sich, im Unterschied zur «Entschädigung als Folge der Untertunnelung» nach a), vom ganzen Grundstückswert.
Der Merkantile Minderwert soll wieder an diesem Beispiel aufgezeigt werden:
Wie erwähnt, werden die Entschädigungen nach a) und b) nach vergleichbaren Kriterien bemessen und es entsteht der Eindruck, dass hier der Minderwert doppelt entschädigt wird. Diese «doppelte Betrachtung» ist jedoch weit verbreitet und lässt sich mit anderen Beispielen erklären:
§ Eintrag im Kataster der belasteten Standorte: Viele Grundstücke sind im Kataster der belasteten Standorte als “Betriebsstandorte” eingetragen und es besteht im Grundbuch eine “Last”. Auch wenn ein Altlastengutachten vorliegt und in diesem die möglichen Kosten für eine Entsorgung aufgezeigt werden, besteht die Unsicherheit, dass die effektiven Entsorgungskosten höher ausfallen könnten, weil die «technische Untersuchung» (Sondierbohrungen und Untersuchung der Bohrkerne) nur punktuell erfolgte. In diesem Fall würde der Käufer auf dem Kaufpreis einen Abschlag auf Grund der effektiv zu erwartenden Entsorgungskosten (Minderwert nach a), aber zusätzlich auch einen Risikoabschlag nach b) für das nicht messbare Risiko von weiteren Kosten machen.
§ Risikozuschläge im Diskontierungszinssatz: In einer Immobilienbewertung werden alle messbaren Kosten (Mehr- oder Mindereinnahmen, Mietertragsausfälle, Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten etc.) berücksichtigt. Auch wenn im Mietertrag und in den Kosten die lokalen und die objektspezifischen Unsicherheiten eingeflossen sind, werden im Diskontierungszinssatz nicht messbare Risiken in der Makrolage, in der Mikrolage und in der Nutzung zusätzlich berücksichtigt.
c) Wertminderung wegen baulicher Einschränkungen
Die Wertminderung bemisst sich im Umfang der potenziellen Ausnützung im Verhältnis der aktuellen Ausnützung. Diese wird vereinfacht über die Anzahl möglicher im Verhältnis der vorhandenen Geschosse berechnet. Dabei wird berücksichtigt, dass eine Mehrausnützung eines bestehenden Gebäudes höhere Kosten von geschätzten 40% zur Folge hat. Unsere Musterliegenschaft ist um ein Geschoss oder um 18% unternutzt (1 ÷ 5.5 Geschosse = 18%). Weil die Realisierung (Aufstockung) dieser Mehrausnützung teurer ist, als wenn die höhere Ausnützung im Zusammenhang mit dem Neubau geschaffen würde, werden 40% höhere Kosten erwartet und in der Konsequenz der potenzielle Mehrnutzen von 18% um 40% (x 0.60) reduziert.
Der Minderwert errechnet sich wie folgt: Geschätzter Marktlandwert vom Steuerlandwert abgeleitet und mit der Grundstücksfläche, dem wegfallenden Potenzial und den höheren Kosten multipliziert: 1'000 m² x 9’871/m² = 9'871'000 x 0.18 = 1’777'000 x 0.6 (100 – 40%) = 1'066'000.
Zusammenfassend ergibt sich für unsere Musterliegenschaft ein Total der Entschädigungen von:
Zusammenfassung
Es gibt in der Schweiz keine Fachliteratur, welche die Bewertung von Minderwerten bei Tunnelrechten behandelt. Die Bewertung von Minderwerten lehnt sich an die Fachliteratur und die Praxis zur Bewertung anderer Minderwerte an. Diese Praxis widerspiegelt sich auch im Bundesgerichtsentscheid BGE II 246 (Fall First Church, Zürichbergtunnel). In einem Leitentscheid des Bundesgerichtes zum «merkantilen Minderwert bei Immobilien» ist zu erkennen, dass diese Art der Entschädigung, welche im Ausland Praxis ist, auch in der Schweiz als weitere mögliche Entschädigung vorstellbar sein könnte.
In den Nachbarländern Österreich und Deutschland ist die Bewertungspraxis und die Rechtsprechung wohl als Folge der zahlreichen U-Bahnbauten umfassender. Oben wurden sechs «Verfahren» beschrieben, welche zur Einschätzung der Minderwerte bei Untertunnelungen in diesen beiden Ländern zur Anwendung kommen. Dabei ist das «Wiener Verfahren» am weitesten ausgearbeitet. Wie in der Schweiz, werden nach dem «Wiener Verfahren» auch die baulichen Einschränkungen (z.B. nicht mehr weiter mögliche bauliche Ausnützung) entschädigt. Zusätzlich werden die Untertunnelungen in Abhängigkeit der betroffenen Schutzzone und -tiefe, ungeachtet der baulichen Einschränkungen einerseits, und zusätzlich die Dienstbarkeit als «merkantiler Minderwert» entschädigt, weil eine die Liegenschaft mit der Dienstbarkeit per se schlechter handelbar ist und damit einen Minderwert erfährt.
Im Entscheid BGE II 246 hat das Bundesgericht, wegen dem nicht mehr weiter möglichen Ausbau des Untergeschosses entschieden, dass dies keinen Minderwert darstellen würde, weil ein weiterer Ausbau so hohe Kosten verursacht, dass der Ausbau nicht wirtschaftlich wäre. In der Annahme, dass die Mehrzahl der betroffenen Liegenschaften im weiteren Ausbau des Untergeschosses, aber vor allem mit der Bohrung von Erdsonden für eine Wärmepumpenheizung betroffen sein werden, stellt sich die Frage, wie dieser Nachteil entschädigt werden kann. Rein technisch gesehen, fallen für den Eigentümer die hohen Kosten für die Bohrungen weg. Die alternativen Beheizungsmöglichkeiten (Luft-Wärmepumpe, Fernheizung, Holzheizung) wären markant billiger, ausgenommen die Platzverhältnisse wären für eine Holzheizung nicht geschaffen (z.B. bisher Gasheizung und es müsste neu ein Holzpelettankraum geschaffen werden). Unter Umständen könnte für die erschwerten Umstände eine Ausnahmebewilligung für den Weiterbetrieb der Gas- oder Ölheizung erwirkt werden, was wieder Minderkosten bedeuten würde. Unbekannt ist, ob der Eigentümer, trotz der nachweisbaren Minderkosten, eine Entschädigung verlangt, weil er die Liegenschaft nicht «nachhaltig» sanieren kann (z.B. Institutioneller Eigentümer, welcher sich verpflichtet hat, seine Liegenschaften allesamt «nachhaltig» zu entwickeln, weil er dies nun aber nicht kann, einen Minderwert geltend macht oder die Liegenschaft gar verkaufen muss). Hier kann das «Wiener Verfahren» helfen, den Minderwert zu ermitteln, auch wenn «technisch gesehen», keine Nachteile bestehen.
Eine weitere wichtige Erkenntnis aus diesem Bundesgerichtsentscheid ist, dass der Eintrag der Liegenschaft im «Inventar der schützenswerten Bauten» und damit verbunden, eine mögliche Unterschutzstellung im Zusammenhang mit einer weiteren Ausnützung, vom Bundesgericht nicht anerkannt wurde. Es argumentierte, dass eine Unterschutzstellung zum fraglichen Zeitpunkt nicht bestanden hätte und daher von der Möglichkeit einer weiteren Ausnützung auszugehen sei. Sollte die Liegenschaft später tatsächlich unter Schutz gestellt werden, müssten die Minderwertforderungen im dannzumaligen Zeitpunkt rechtlich neu verhandelt werden.
Im Fall «First Church» wurde der Minderwert wegen der fehlenden Ausnützung im oberirdischen Bereich auf 15% des Landwertes festgelegt. Aus dem Entscheid ist nicht erkennbar, wie die 15% zustande kamen. In der Annahme, dass die aktuelle Bebauung mit drei von vier möglichen Geschossen eingeschätzt worden ist, ergäbe sich eine Mindernutzung von ¼ oder 25%. Eine Mehrausnützung eines bestehendes Gebäudes ist in der Regel mit Mehrkosten verbunden (z.B. Anpassung Statik, Abbruch-, Planungskosten, Planungszeit, Risiken). Wenn diese Mehrkosten bei 40% lägen, wäre der Minderwert von 15% erklärbar (25% x 0.6 = 15%).
Es gibt keine rechtlichen Hinweise, dass ein Eigentümer nach der Praxis in Deutschland oder Österreich zu entschädigen wäre. Die Anwendung dieser Praxis hätte jedoch den Vorteil, dass der Umfang einer Entschädigung bei all jenen Liegenschaften, welche nur im Untergeschoss, nicht jedoch in den Obergeschossen bauliche Einschränkungen erfahren, einfacher und auf der Basis eines im Ausland anerkannten Verfahrens ermittelt werden könnte. Die Folge wären zwar höhere Entschädigungskosten. Im Gegenzug könnten die Verhandlungen vereinfacht, verkürzt, damit interne sowie externe Gerichtskosten eingespart und der Planungsprozess beschleunigt werden.
B&O IMMO PARTNERS, Juli 2025
Literaturverzeichnis:
- Das Schweizerische Schätzerhandbuch SVKG, 2019
- Die Immobilienbewertung, Francesco Canonica, 2009
- Urteil vom 25.11.2008 des Bundesverwaltungsgerichtes (A-365/2008, T 0/2)
- BGE 122 II 246 vom 17.6.1996_First Church_Zürichbergtunnel
- Leitentscheid Bundesgericht zum “merkantilen Minderwert bei Immobilien», Urteil 4A_394/2018 vom 20.5.2019
- «Merkantiler Minderwert von Liegenschaften», Kerschner, Kleiber, Ertl, 2. Auflage, 2023, Linde Verlag, Seite 71. Punkt 3.4.1 Spezialfall Untertunnelung
- «Ein Streifzug zu den Verfahren bei Enteignungsentschädigungen von Tunnelservituten», Immo aktuell 4/2023, Linde Verlag, Wien, Dr. Kurt Denk

